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Was läuft schief in unserem Bildungssystem?

Per Mail erhielt ich eine Anfrage für ein Beratungsgespräch, mit der Bitte um Rückruf.

 

Es ging um das Thema Grundschulempfehlung für das Kind einer Klientin.

 

Zum gewünschten Zeitpunkt rief ich Rabiya an.

Bereits am Anfang unseres Gesprächs war Rabiya sehr emotional, verzweifelt und enttäuscht. 

Als Rabiya mit zitternder Stimme anfing über ihr Thema zu berichten, konnte ich deutlich herauszuhören, dass sie den Tränen sehr nah war. Die Mutter von zwei Kindern hatte ein Gespräch mit der Lehrerin ihres älteren Sohns geführt. Es ging dabei um die Grundschulempfehlung für eine weiterführende Schule. 

 

Da ihr Thema sehr brisant und akut war und sie mich um einen schnellstmöglichen Termin für ein persönliches Gespräch gebeten hatte, ermöglichte ich ihr am folgenden Abend zu mir ins Büro zu kommen.

Scheitert die Integration in der Schule?

Rabiya erzählte mir, dass sie und ihr deutscher Partner nicht verheiratet sind. Bei der Geburt ihrer Kinder waren sie sich einig, dass die Kinder den Namen des Vaters durch eine Vaterschaftsanerkennung bekommen und ebenfalls einen deutschen Vornamen erhalten.

Vier Jahre lang, von der ersten bis zur vierten Klasse, hat keiner gewusst, dass ihr Sohn einen Migrationshintergrund hatte. Ihr Sohn war vorbildlich in der Gesellschaft integriert. Zudem besuchte er die Musikschule wo er Klavierspielen lernte. Er war in einem Sportverein aktiv. 

Bei einem persönlichen Gespräch erkannte die Klassenlehrerin, dass Rabiya aus Marokko kam. Ihr Migrationshintergrund war somit offensichtlich.

 

Weinend berichtet Rabiya:  „Als die Lehrerin erfuhr, dass ich aus Marokko komme und demnach auch mein Sohn einen Migrationshintergrund hat, gab sie plötzlich eine geänderte Empfehlung für die nachfolgende Schulform.“ Bis dahin war dies nie ein Thema. 

 

Zitat der Klassenlehrerin:„Wir haben liebe und nette ausländische Kinder in der Hauptschule, es wäre für Elias vollkommen ausreichend, wenn auch er auf die Hauptschule käme!“

 

Diese Aussage der Klassenlehrerin ist für jeden Menschen, wie auch für Rabiya, die in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, zudem vorbildlich und erfolgreich integriert ist, ein Schlag ins Gesicht.

Diskriminiert unser Schulsystem Minderheiten?

Mein Mutterherz hat innerlich geblutet als ich hörte, wie Elias offensichtlich auf Grund seiner Herkunft massiv diskriminiert wurde. Meine neutrale Einschätzung in diesem Fall ist, dass sich die Klassenlehrerin unprofessionell verhalten hat und sie nicht auf die schulischen Leistungen von Elias eingegangen ist. Sie fokussierte plötzlich auf seinen Migrationshintergrund und ihre Empfehlung wurde demnach nur darauf basierend ausgesprochen. 

 

War es nur eine Dummheit der Lehrerin, waren es Vorurteile oder hat sie über die Konsequenzen ihrer Aussage nicht nachgedacht? Ganz egal was ihre Intension war, solch eine diskriminierende Einschätzung von einer Pädagogin, dürfen wir nicht akzeptieren! Insbesondere, wenn nur basierend auf dem Migrationshintergrund die Empfehlung plötzlich geändert wird. 

Das Coaching mit Rabiya

Rabiya bat mich um eine Beratung. Meine Empfehlung war, dass sie zum einen ein Gespräch mit der Schulleitung einfordert und zum anderen das zuständige Schulamt und das Schulministerium über diesen Missstand schriftlich informiert. Rabiya wollte, dass ich sie und ihren Partner zu diesem Gespräch begleite und sie dabei unterstütze. Sie hatte Angst ihre Emotionen nicht in den Griff zu bekommen. 

 

Grundsätzlich gehört es zu meinen Aufgaben, meine Klienten auf Wunsch zu einem Gespräch zu begleiten. In Rabiyas Fall hielt ich es als Integrationscoach für besser, sie für dieses Gespräch vorzubereiten, in dem ich sie in ihrem Selbstvertrauen aufbaue und stärke.

Es gelang mir Rabiya davon zu überzeugen, in die Coach-Rolle wechseln zu dürfen.

 

In weiteren Gesprächen habe ich mit ihr nach der Time Line Methode gearbeitet. Im ersten Schritt der Time-Line entwickelte Rabiya ihr Zielbild. Es war faszinierend zu hören, wie sie sich ihr Bild der Zukunft und somit auch die Bildung ihrer Kinder vorstellte. Rabiya wollte, wie die meisten Eltern die bestmögliche Bildung für ihre Kinder. Jedoch nicht um jeden Preis. Parallel zu ihren Ansprüchen bezüglich einer guten Bildung ihrer Kinder war es ihr wichtig, dass ihre Kinder stets glücklich aufwachsen und nicht unter Bildungsdruck stehen. Sie glaubte fest an Elias und wollte nicht, dass er auf Grund seiner Herkunft verurteilt und abgestempelt werden würde. „Ich sehe gerade, wie er den Realschulabschluss geschafft hat. Ich kenne mein Kind“ sagte Rabiya.

Ich muss zugeben, dass mich Rabiya sehr bewegt und begeistert hatte. In all den Jahren habe ich nichts vergleichbares Schönes gehört, wie der Wunsch von Rabiya. 

Begünstigt unser Schulsystem falsche Entscheidungen?

Nun blieb nur noch die Aufgabe Rabiya für ihre Reise vorzubereiten. Dabei benutze ich immer wieder den Rollenwechsel zwischen Coach und Berater.

 

Durch meinen Background aus der Verwaltung im öffentlichen Dienst, konnte ich Rabiya dabei unterstützen einen sachlichen Brief an die zuständigen Behörden zu schreiben.  

 

Um sie auf ihr Gespräch vorzubereiten, bat ich Rabiya eine kleine Aufgabe zu erledigen. Sie sollte alle Punkte aufschreiben, die ihr auf der Seele brannten und die sie der Schulleiterin gerne sagen würde. Der Zweck dieser Aufgabe war, dass Rabiya erst mal auf ein Blatt Papier ihre ganzen aufgestauten Emotionen los werden sollte. Anschließend konnte ich jeden Punkt Step by Step mit ihr abarbeiten.

Meine Erfahrung ist, dass während jemand diese Punkte aufschreibt, die noch voller Emotionen, Wut und Verzweiflung sind, sie sich gleichzeitig auch abschwächen können.

 

Als Rabiya zum nächsten Termin kam, erzählte sie mir, dass sie überrascht darüber war, wie sehr ihr das Aufschreiben geholfen hat. Es hat ihr dabei geholfen ihre große emotionale Wut und die Verzweiflung zu besänftigen und etwas klarer zu sehen und sachlicher zu werden.

 

Etappenziel erreicht. 

 

Im Rahmen der Time Line Methode hatte Rabiya sich ein erstrebenswertes Ziel gesetzt. Ihr erstes Zwischenziel erreichte sie durch den Brief an die Behörden. In weiteren Schritten wollte sie ihr Selbstvertrauen aufbauen, um sich für das Gespräch mit der Schulleiterin zu stärken. Hierfür haben wir bereits den größten Teil der negativen aufgestauten Emotionen durch das Aufschreiben abgebaut.

Die Entscheidung für eine erfolgreiche Zukunft

Ich habe mir jede selbstbewusste und starke Situation aus ihrer Vergangenheit erzählen lassen. Bei einem ganz besonderen Bild, mit sehr kraftvollen Erinnerungen und Gefühlen, habe ich einen ersten Anker gesetzt. Bei ihren Erzählungen bekam ich eine Gänsehaut und bewunderte ihre Stärke und ihren Mut.

Sie entschied sich gegen ihre Familie und brach sämtliche Regeln ihres Kulturkreises. Rabiya war seit langem ihrem in Marokko lebenden Cousin versprochen. Sie wusste, dass die Heirat nur einem Ziel diente, den Cousin nicht aus Liebe zu heiraten, sondern durch die Heirat seine Einreise nach Deutschland sicherzustellen. Eine Liebe zu diesem Mann entwickeln zu können, war für sie nicht nur undenkbar, sondern auch krank, schließlich war es ihr Cousin. 

Für die schon damals offene, selbstbestimmende und freiheitsliebende Rabiya, war das eine Horror-Vorstellung. Sie nahm all ihren Mut zusammen und brannte in einer Nacht und Nebel Aktion durch. Sie ging in eine größere Stadt und kam in einem Frauenhaus unter. Dort war sie sicher vor ihrer Familie und ihren Brüdern. Zudem legte sie bewusst eine falsche Fährte, indem sie ihrer Familie eine Nachricht schrieb, dass sie in Berlin sei. So gewann sie Zeit, um sich eine Arbeit und eine Wohnung zu suchen. 

 

Die aus diesen Erinnerungen der Stärke heraus entstanden positiven Gefühle, haben wir solange in einer Schleife wiederholt und geankert, bis sich Rabiya sicher fühlte. Ab diesem Zeitpunkt konnte sie durch das benutzen ihres Ankers, die positiven Gefühle und die notwendige Stärke gezielt abrufen. Sie war nun gut vorbereitet und selbstsicher genug, dass Gespräch mit der Schulleiterin zu führen.

 

Bei einem erneuten Coachingtermine, eine Woche nach dem Schulleitergespräch, sahen wir uns wieder. Rabiya erzählte mir, dass sie das Gespräch mit der Schulleiterin ohne emotionale Ausbrüche und mit viel Souveränität gemeistert hat.

Dennoch berichtet sie mir, dass sie Elias aus der öffentlichen Schule herausgenommen hat und ihre Tochter wird sie erst gar nicht in einer öffentlichen Schule einschulen. Im ersten Moment war ich sehr überrascht, jedoch erfuhr ich sehr schnell den Hintergrund für diese Entscheidung.

Rabiya erzählte mir, dass die Schulleiterin die Aussage der Lehrerin äußerst verharmlost hat.

 

Die Schulleiterin sagte: „Es sei doch nichts dagegen einzuwenden, wenn Elias erstmal auf die Hauptschule käme. Er könnte ja danach immer noch auf dem zweiten Bildungsweg sein Ziel erreichen.“

 

Dieser schulbehördliche Tunnelblick arbeitete gegen jegliche Form der Integration. Rabiya wollte, dass ihre Kinder die bestmögliche Schulbildung erhalten, ohne diskriminiert zu werden. Was läuft in unserem Schulsystem schief, dass es zu solchen oberflächlichen und diskriminierenden Entscheidungen kommen kann?

 

Rabiya und ihr Partner haben das Ansinnen und die Empfehlung der Schulleitung abgelehnt und gleichzeitig der Schulleiterin mitgeteilt, dass Elias auf eine Privatschule gehen wird. Die gleiche Entscheidung trafen sie für ihre Tochter, die zu diesem Zeitpunkt eingeschult werden sollte.

Erfolge darf man feiern

Zurück in der Gegenwart. Vor wenigen Tagen traf ich Rabiya auf unserem internationalen Fest der Kulturen. Sie berichtete mir stolz und voller Freude, wie sich alles in den letzten Jahren nach unserem Coaching entwickelt hatte. Nach nunmehr vier weiteren Jahren besuchte Elias die 8. Klasse einer privaten Realschule, mit dem Ziel sein Fachabitur zu erreichen. Beruflich ist er sich noch nicht ganz sicher was er machen möchte. Jedoch soll es ein Duales-Studium im Bereich Marketing werden. Die Tochter Sahra ist eine Musterschülerin, die auf das Gymnasium wechseln möchte.

 

Für die Berufsorientierung hat mich Rabiya gebeten, noch eine Persönlichkeitsanalyse mit Elias zu machen. Wir sind uns beide sicher, dass eine Persönlichkeitsanalyse ihm bei seiner Berufswahl unterstützen wird.

 

Ihre Sevda Sakiner

Familien- und Jugendcoach

Integrationscoach

 

Hier geht es zu meinem Coachprofil. Ich freue mich auf Ihre Kontaktaufnahme.

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